Nun sind schon bald 7 Wochen seit dem sogenannten „Lockdown“ vergangen.
Als bekannt wurde, dass die Schulen nun schliessen und die Kinder von zu Hause aus unterrichtet werden, hab ich mir noch nicht soviel dabei gedacht. Das werden wir schon irgendwie schaukeln!
Ich hab mir vorgestellt, dass meine Tochter online am Unterricht teilnehmen kann und dazwischen Aufträge selbständig erledigt. Mein Alltag würde so normal wie möglich weiterlaufen.
Ja klar, da war noch zu organisieren wie wir das mit der Betreuung der Kinder während meinen Arbeitstagen, gestalten werden.
Unsere Kinder werden von den Grosseltern betreut (was jetzt nun nicht mehr möglich ist).
Da mein Mann aufgrund der aktuellen Situation im Homeoffice arbeitet, sollte das ja auch kein Problem sein.
Also geniessen wir die Tage als Familie und nutzen die Zeit um Schränke aufzuräumen, auszumisten, den Garten umzugestalten und die Wohnung umzugestalten usw.
Ich mache mir schon Gedanken was ich alles mit den Kids basteln und im Garten unternehmen kann.
Am Donnerstag musste also meine Tochter ihre gesamten Schulmaterialien und Aufträge für den Fernunterricht abholen.
Ihr Schulrucksack war brechend voll….. Beim ausräumen des Materials, versuche ich einen Überblick zu bekommen. Welche Hefte, Bücher, Papieren und Kisten braucht sie nun um Aufträge erledigen zu können?
Das war gar nicht mal so einfach. Die Aufträge auf 5 verschiedenen Arbeitsplänen.
Meine Tochter sitzt genauso hilflos neben mir. Dann zeigt sie mir ihre Bastelarbeiten, welche sie auch nach Hause nehmen musste, damit wohl das ganze Schulzimmer desinfiziert werden konnte :-)
Irgendwie haben wir dann die 3h Pflicht, die sie in der 3. Klasse erledigen muss über die Runde gebracht. Aber den Überblick hatten wir immer noch nicht.
Der nächste Tag lief relativ ähnlich.
Morgens 09:00 Start (Toll erst um 8:30 aufstehen, damit man den Tag irgendwie überlebt und die Nacht nicht zu kurz ist, nachdem erst nach Mitternacht Feierabend gemacht wird).
Frühstücken als Familie. Danach versuche ich die Küche zu machen. Muss aber gefühlt alle 5 Minuten die Treppe hochspringen, da meine Tochter eine Frage hat oder gerne wissen möchte ob sie die Aufgabe richtig verstanden oder richtig gelöst hat.
Zwischendurch fragt mich mein 4 jähriger Sohn ob er die Legokiste ausleeren darf, da er ein bestimmtes kleines Teil sucht. Ach ja, ich hab auch noch einen Sohn, er kann sich zum Glück lange alleine beschäftigen. Aber immer dann wenn Mama gestresst ist, möchte er doch gerne ein Spiel spielen oder mir etwas ganz ganz Wichtiges zeigen.
Es klingelt, meine Mutter steht vor der Tür und fragt wie es uns geht. Ich sage nur, dass ich etwas im Chaos versinke, dass mein Kaffee kalt unter der Maschine steht und ich mir das Ganze etwas anders vorgestellt habe.
Ich habe soeben erst die Küche vom Frühstück aufgeräumt ist auch schon wieder Zeit um das Mittagessen zu kochen. Vorher muss ich aber doch noch kurz endlich mal meine Blase entleeren. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass ich mich wohl noch gar nicht gekämmt und die Zähne geputzt habe. Auf meinem T-Shirt erkenne ich ein riesigen Fleck. Zum Glück stand vorher nicht der Postbote vor der Tür.
Ich versuche meinen Blick nicht auf den vollen Wäschesack und die Flecken im Bad zu konzentrieren. Die Krümmel am Boden fallen mir zwar auf, aber ich weiss das ich nun keine Zeit habe um auch noch staubzusaugen.
Ich habe noch immer kein Überblick, was meine Tochter nun alles erledigen muss und merke, dass mich die Situation immer mehr stresst. Kann sie so den Plan bis nächsten Donnerstag überhaupt abarbeiten? Was geschieht mit unserer Haushaltung? Bin ich einfach unfähig?
Langsam aber sicher fühle ich auch eine gewisse Wut in meinem Bauch. Was macht denn die Lehrerin heute? Ja sie wird wohl das nächste Wochenpaket zusammenstellen. Und sonst?
Was macht mein Mann unten im Keller in seinem ruhigen Homeoffice?
Was machen unsere Eltern nun mit der zusätzlich freien Zeit?
Was machen meine kinderlosen Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice?
Ein kurzer Blick auf die sozialen Medien zeigt mir bildlich auf, wie es den anderen im Homeoffice ergeht: Laptop, daneben ein Kaffee und die schlafende Katze. Abends posten sie ihr frischgebackenes Brot und den Kuchen den sie für ihre Eltern gebacken haben oder posten ein Bild von ihrer Joggingrunde.
Meine Tochter möchte auch backen (das ist unter anderem Inhalt des 5. Arbeitsplans, welcher freiwillige Aufgaben enthält, damit es den Kindern nicht noch langweilig wird…..)
Ja ich bin wütend und eifersüchtig auf all diese Menschen, die nun soviel Zeit mehr haben und die Krise nutzen um ihre Kreativität auszuleben.
Am Wochenende versuche ich nun den liegen gebliebenen Haushalt mit meinem Mann aufzuarbeiten. Am Sonntag Abend will ich noch gar nicht an den bevorstehenden Montag denken.
Ich überlebe den Tag wie die anderen vorher ziemlich erledigt und ohne das Gefühl, dass ich alles im Griff habe.
Dienstag um 09:15 ist der erste Klavierunterricht per Skype angesagt.
Ich merke wie mir das Homehaushalt, Homeschooling, Homeoffice, Homebespassung und Homeüberleben wahnsinnig auf der Schulter lastet.
Nun also Homeklavierschooling. Die Klavierlehrerin ist happy und gibt sich viel Mühe. Leider kann ich das Smartphone nicht so positionieren, dass sie die Tasten und meine Tochter sieht, ohne dass es immer wieder runter fällt.
Im Hintergrund schreit mein 4-jähriger von der Toilette seit 10 Minuten: „I bi fertig!“ und wird natürlich immer lauter.
Der 20.Minuten Klavierunterricht wird so zu knapp 15 Minuten Unterricht ohne Klänge und meine Nerven sind schon um 9:30 völlig überstrapaziert. Jetzt warten noch die 3h Fernunterricht auf meine Tochter und mich und ich spüre, dass ich das niemals so bis zu den Frühlingsferien aufrecht erhalten kann.
Ich bin Mama und keine Lehrerin. Darum kam für mich Homeschooling auch nie in Frage.
Nun wurde ich dazu gezwungen. Ja ich weiss Homeschooling ist nicht dasselbe wie Fernunterricht. Ich spüre jedoch om Moment kein Unterschied!

Dienstagabend: Ich freue mich wahnsinnig auf meinen Arbeitstag von Morgen.
Ich geh aus dem Haus, verlasse das Chaos und kann mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Auch wenn es als Pflegefachperson und Verantwortliche Bildung häufig auch sehr stressig ist und man momentan fast etwas Sauerstoffmangel hat wegen dem Tragen der Masken, bin ich trotzdem richtig entspannt und geniesse die Zeit im Betrieb.
Am Mittwoch Abend schreibe ich meinen „Frust“ in das Rückmeldungsblatt an die Lehrperson (ich bleibe freundlich, das ist doch selbstverständlich und versuche konstruktive Verbesserungsvorschläge zu machen).
Meine Tochter hätte eigentlich ein Nachteilsausgleich aufgrund ihrer Leseschwäche. Den bekommt sie auch. Jedoch nicht durch ihre Lehrperson sondern durch mich oder meinen Mann. Find nur ich das nicht richtig?
Ich frage mich auch wie das andere Eltern schaffen. Fremdsprachige Eltern, Eltern mit mehreren schulpflichtigen Kindern und wie die Chancengleichheit so noch gewährleistet werden kann.
Nach dem Erfassen der Rückmeldung geht es mir besser.
Ich habe auch schon eine Idee betreffend Überblick für das nächste Wochenpaket.
2. Wochenpaket wird von der Tochter im Schulhaus abgeholt. Ich bin bereit für die Arbeitspläne.
Schreibe alle Aufgaben auf kleine Zettel und schaffe so auf dem Fenster eine Übersicht für meine Tochter und vor allem für mich.

Unterdessen hat sie die nächste Klavier-20-Minuten-Lektion. Meine Mann hat im Keller das Stativ raufgeholt und kann so alles einstellen, dass es sogar klappt. Es ist schönes Wetter und unser Sohn spielt draussen im Garten. Ich freue mich, dass der Tag so positiv angelaufen ist.

Ich merke, dass mich nun etwas entspanne. Heute bin ich aber im Homeoffice und mein Office ist der Esstisch. Nach 1h spüre ich meinen Rücken und hole den alten Bürostuhl hoch. Ich arbeite max 15min am Stück (danach werde ich immer wieder von einem Kind unterbrochen) und stelle fest, dass ich so meine Arbeit nie erledigen kann. Die Zeit hole ich dann am Wochenende und Abends nach (was ich eigentlich lieber nicht möchte). Das stresst mich schon wieder.
Meine Rückmeldung hatte wohl Wirkung. Die Heilpädagogin der Schule meldet sich und bietet an regelmässig mit unserer Tochter per Skype Aufträge zu machen. Auch meine Schwester bietet sich an eine 1h zu übernehmen wenn sie frei hat. Ich kann etwas aufatmen.
Jedoch spüre ich, dass ich müde bin und meine Nerven und meine Energie sich eher auf einem tiefen Niveau befinden.
Die Frühlingsferien stehen schon bald vor der Tür. Also beisse ich durch und wir geniessen eine Woche in der Berghütte „ab vom Schuss“. Sehen keine Menschenseele und geniessen die Auszeit als Familie.


Nun startet der Fernunterricht nach den Frühlingsferien wieder. Nein Onlinelektionen, so wie ich sie mir gewünscht habe gibt es nicht.
Die 3h wurden auf 2h Stunden Unterricht reduziert. Was uns zusätzlich etwas Luft zum atmen gibt.
Nur so nebenbei: Als Faustregel für eine angemessene Fernunterrichtszeit kann davon aus- gegangen werden, dass eine Schülerin, ein Schüler in der Lage sein müsste, entsprechend dem jeweiligen Lebensalter multipliziert mit zwei Minuten, konzentriert arbeiten zu können.

Einmal in der Woche wird sie nun wieder mit der Heilpädagogin skypen.
Ich stehe nun weniger unter Druck. Vielleicht ist es auch noch die Erholung von der Ferienwoche.
Aber ich denke wir werden das gemeinsam bis am 11. Mai schaffen und ich bin stolz auf unseren Weg und meine Familie.
Jedoch gibt es immer wieder Momente in denen ich tief durchatmen muss. Zum Beispiel als eine Lehrerin letzte Woche im Radio sagt: „Nun können sich Eltern endlich vorstellen, was es bedeutet Lehrer/in zu sein!“
Wie bitte? Ich denke ein Angehöriger der seine kranke Mutter betreut und pflegt und daneben noch arbeitet, ein Haushalt zu führen und Kinder zu betreuen hat, möchte von mir auch nicht hören: „Jetzt kannst du dir endlich vorstellen, was es heisst in der Pflege zu arbeiten!“
Ich versuche zu akzeptieren, dass ich die Coronazeit nicht wie andere nutzen kann um alles was liegen geblieben ist aufzuarbeiten oder gar neue Koch- oder Backrezepte auszuprobieren.
Ich versuche zu akzeptieren, dass es bei uns zu Hause im Moment etwas unordentlich und nicht ganz so sauber ist wie üblich.
Ich versuche zu akzeptieren, dass die Lehrpersonen ihren Fernunterricht sehr unterschiedlich gestalten.
Ja ich akzeptiere sogar, dass ich meiner Tochter neuen Schulstoff vermitteln muss.
Ich versuche auch zu akzeptieren, dass ich eine andere Auffassung von Fernunterricht habe als die Lehrperson und freue mich wenn wir mal eine Videobotschaft mit einer Anleitung erhalten.
Es gäbe noch Vieles mehr, was ich im Moment versuche zu akzeptieren. Es gibt Tage da gelingt mir das besser, dann gibt es Tage da bräuchte ich etwas mehr als ein Coronabier zum Feierabend :-)
Ich habe nur ein schulpflichtiges Kind und ich ziehe meinen Hut vor all den Familien die mehrere Kinder haben oder vor alleinerziehenden Eltern und hoffe sie bekommen genügend Unterstützung und Rückhalt um diese spezielle Situation zu meistern.
Übrigens: Ich freue mich auf die „Normalität“ falls es diese irgendwann wieder mal gibt.
Autor: Cornelia Aeschbacher (Bildungsverantwortliche Pflege, Mutter, Hausfrau und nun auch noch Lehrerin)